Der lange Weg zur EM 2018 -

Hommage an eine großartige Athletin

21.07.2018

Deutsche Meisterschaften in Nürnberg. Lisa belegt im Finale über 100m den zweiten Platz. Die Norm für die EM ist sie schon im April in Clermont/USA gelaufen. Der Bundestrainer hat über diese Strecke drei Plätze zu vergeben. Zwei Athletinnen hat er Anfang des Monats schon vornominiert: Tatjana Pinto und Gina Lückenkemper. Der dritte Startplatz wird nun bei den Deutschen Meisterschaften vergeben. Da im Finale nur Gina Lückenkemper schneller als Lisa ist, wird klar: Lisa wird bei der EM in Berlin über 100m an den Start gehen dürfen! Für die Staffel wurde sie bereits vornominiert!
Kurz und bündig: Die Neuköllner Sportfreunde sind beim Leichtathletik Höhepunkt des Jahres mit einer Athletin vertreten! Wahnsinn, oder?

Und: Lisa hat das wirklich verdient!

Wahrscheinlich wird das jeder Trainer von seiner Athletin behaupten! Ich möchte nun aber zeigen, dass dies mehr als eine Floskel ist! Dazu hole ich mal ein wenig aus!

2009-2014: Die leichten Jahre

2009 Lisa kommt das erste Mal zum Training. Dass sie talentiert ist, wird sofort deutlich. Als 12-jährige läuft sie Berliner Rekord über 75m (9,72s) und in Mannheim, beim Finale der Deutschen Schüler Mannschaftsmeisterschaften, das erste Mal die 100m unter 13 Sekunden.
Spätestens in der Hallensaison 2010 werden die Fachleute aufmerksam:

Im Sommer 2010 geht es munter weiter: 12,35s über 100m, Teilnahme an den Deutschen Jugendmeisterschaften in Jena als Schülerin, Berliner Rekord über 300m (40,71s)
2011 und 2012 geht es kontinuierlich bergauf. 2013 gelingt dann der Sprung in den Bundeskader.
2014 wird dann das große Jahr! Erster Einsatz im Nationaltrikot beim Hallenländerkampf in Halle. Lisa belegt Platz 3 über 200m und siegt mit der 4x200m-Staffel. Bei den Deutschen Jugendmeisterschaften reicht es für das Podium, aber nie zum Meistertitel. Aber sie qualifiziert sich für die U20-WM in Eugene/USA und holt dort mit der 4x100m-Staffel die erste internationale Medaille ihrer Karriere: Bronze!
Dieser Erfolg erzeugt Nachhall: Sie wird zur Berliner Nachwuchssportlerin des Jahres 2014 gewählt und 2015 zur Ehrenbürgerin von Neukölln ernannt!
Es sind die leichten Jahren! Lisa ist unbekümmert und schwimmt auf der Erfolgswelle. In den ersten Jahren merkt sie sich nicht mal ihre Bestzeiten und hat auch keine großen Ambitionen. Nach jeder Saison sitzen wir zusammen, analysieren und ich versuche ihr aufzuzeigen, was im nächsten Jahr möglich ist und wie das erreicht werden könnte. Alles entwickelt sich harmonisch und Lisa bleibt - trotz der Erfolge – auf dem Teppich!

2015-2017: Die schweren Jahre

In diesen drei Jahren ist vieles anders! Es werden Erwartungen an sie herangetragen, die ihr die Leichtigkeit nehmen. Es gibt jedes Jahr eine schwere Verletzung.
2015 klagt sie über Beschwerden im Bereich des Sprunggelenks. Dennoch qualifiziert sie sich für die U20-EM in Schweden. Dann kommt die Hiobsbotschaft: Stressfraktur im Schienbein! Keine EM! Die Ursache bleibt unklar, denn das Training hat sich im Vergleich zum Vorjahr kaum verändert. Aufgrund der Beschwerden war es über Wochen deutlich reduziert.
2016 Das Übergangsjahr! Sie ist jetzt U23-Athletin und es gibt keine internationalen Meisterschaften in diesem Bereich. Die Saison muss schon im Juni abgebrochen werden. Die Schmerzen im Fuß, die zunächst als Reizung der Plantarsehne deklariert wurden, gehen trotz Trainingspause und reduziertem Training nicht weg. Ein MRT bringt die traurige Wahrheit ans Licht: Einriss der Plantarsehne. Ursache wieder unklar!
2017 scheint es im Winter gut zu laufen. Im Finale über 200m bei den Deutschen Hallenmeisterschaften ist die erste Medaille im Frauenbereich möglich. Dann das Aus kurz nach dem Start: Muskelfaserriss! Aus heiterem Himmel.
Wieder Reha. Wieder rankämpfen. Wieder schafft sie es. Teilnahme U23 EM in Polen. Norm für das Junior Elite Team erfüllt.

In diesen drei Jahren haben wir viele Ärzte konsultiert und noch mehr Physiotherapeuten. Es gab Fehldiagnosen, Therapiepläne, die für Leistungssportler ungeeignet waren, gute Hinweise und Behandlungsideen, aber nie eine griffige Erklärung! Der menschliche Körper ist immer noch voller Geheimnisse und man lernt eben wirklich nie aus!

Die richtige Frage wird dann im Mai 2017 von einer Ärztin bei der alljährlichen Sportgesundheitsuntersuchung in der Charité gestellt: “Welche Pille nimmst du?“
Lisa nimmt seit 2014 die Pille. Die verschreibende Ärztin wusste, dass ihre Patientin Leistungssportlerin ist. Dennoch verschreibt sie ihr ein Präparat, das neu auf dem Markt ist und für Frauen in den Wechseljahren konzipiert wurde. Der Anteil weiblicher Hormone ist extrem hoch! Laut Aussage der untersuchenden Ärztin war das die wesentliche Ursache für alle Verletzungen! Sie hat also drei Jahre ein Präparat eingenommen, welches dafür gesorgt hat, dass ihr Körper den Belastungen nicht ohne Verletzungen standhalten konnte! Drei Jahre! Unfassbar!

Wer jemals Sport getrieben hat, weiß, was es bedeutet, wenn man verletzt ist: Die harte Trainingsarbeit zahlt sich nicht aus; die Konkurrenz enteilt; Pausieren ist schei…..; Reha-Übungen in der Regel ebenfalls; Zweifel kommen auf: hält die verletzte Struktur, wenn ich wieder belaste? Bleibe ich im Kader? Wie reagiert mein Ausrüster? Bin ich für den Leistungssport überhaupt geeignet? Wofür mache ich das alles?
Man kann die Reihe noch mit vielen Aspekten fortsetzen. Es ist die schlimmste Zeit einer Athletin! Ein tiefes dunkles Loch! Wenn du Erfolg hast, sind viele da! Bist du verletzt, sind es nur noch wenige!
Die sollen hier mal Erwähnung finden: Unsere Physio Svenja Thoben, Peter Müller vom OSP Dortmund, die Physios vom OSP-Berlin, Raffa
Die Bundetrainer, die nie das Vertrauen verloren haben: Alex Seeger, Thomas Kremer, Ronald Stein, Jörg Möckel
Heike Hötzel, Psychologin am OSP, die Lisa immer aufgebaut hat!
Ganz wichtig: unsere Unterstützer! Frau Bosse von der Flughafen Berlin Brandenburg GmbH, Erik Küppers von Bösl Medizintechnik und natürlich Lutz Breitbarth von QSG Verkehrstechnik! Ohne diese Unterstützer, wäre Lisa nie so weit gekommen! DANKE!

Lisa ist jedes Jahr aus diesem Loch gekrochen, hat alles gegeben, um wieder den Anschluss zu schaffen, hat jedes Jahr die erforderlichen Normen unterboten. Sie hat nie das Training in Frage gestellt. Nie nach einem anderen Trainer und einem anderen Verein Ausschau gehalten! Was für eine Athletin!

2018-?: Die Große Bühne!

Dieses Jahr wird wohl als Schlüsseljahr in der Rückschau betrachtet werden. Wir haben, wie jedes Jahr Ende 2017 die Ziele für die neue Saison festgelegt. Das waren anspruchsvolle Ziele! Wir mussten dennoch früh nachjustieren!
Im Januar zeigt sich schon auf Teneriffa, dass Lisa wieder auf Augenhöhe mit die Besten ist. Die Hallensaison muss zwar wegen Beugerproblemen ausfallen, aber im Trainingslager in Clermont/Florida bestätigt sie diesen Eindruck: Als einzige aller mitgereisten Kaderathletinnen und Kaderathleten, hakt sie schon dort im Wettkampf die EM- Norm ab! 11,29s!
Was bedeutet diese Leistung? EM-Norm, Kadernorm, Ausrüstervertrag wird verlängert….
Alles im ersten Wettkampf! Großartig!

In den weiteren Wettkämpfen bestätigt sie diese Leistung. Sie reist als Favoritin zur DM U23. Fehlstart im Vorlauf! Erster Fehlstart der Karriere! Schon wieder ein dunkles Loch!
Platz jetzt der Traum von der EM-Teilnahme?
Sie muss es sich und allen anderen wieder beweisen und jetzt geht alles wahnsinnig schnell!

Wahnsinn!

Jetzt kommt die EM. In Berlin. Zu Hause! Sie hat es sich verdient, oder?